Ein paar Worte zur Frauenspezifischen Psychotherapie
Die klassische Psychotherapie gilt häufig als geschlechtsneutral. Wie wir aus der Gender Medizin jedoch wissen, bedeutet dies in der Regel die Orientierung am Mannsein. Dadurch werden weibliche Lebensrealitäten und deren Einfluss auf die psychische Gesundheit häufig wenig mitgedacht.
Die Frauenspezifische Psychotherapie sieht psychische Belastungen und Erkrankungen von Frauen in einem größeren Kontext. Geschlechtsspezifische soziale, kulturelle und biografische Bedingungen werden entsprechend mitgedacht.
Zentrale Anliegen Frauenspezifischer Psychotherapie:
Die Frauenspezifische Psychotherapie verfolgt eine gendersensible Perspektive: Rollenbilder, Erwartungen und Diskriminierungen werden bewusst berücksichtigt.
Weibliche Biografien sind oft geprägt von
- Gewalt,
- Diskriminierung,
- Abwertung,
- geringem Selbstwert und
- Körperbildstörungen
Besonders bedeutsam sind Beziehungen und Kommunikation, da Frauen sich meist über Beziehungen definieren. Dadurch entwickeln Frauen eine hohe Beziehungskompetenz, laufen aber auch Gefahr, in ungesunde Abhängigkeiten zu geraten.
Ein Schwerpunkt liegt daher auf der Stärkung von Autonomie und Selbstwert.
Wichtige Themen sind das Setzen von Grenzen, Selbstfürsorge und die Erweiterung des Handlungsspielraums.
Haltung und Methoden der Frauenspezifischen Psychotherapie:
Die Haltung in der Frauenspezifischen Psychotherapie ist nicht pathologisierend: Symptome werden im sozialen Kontext verstanden und nicht vorschnell als Krankheit gesehen. Sie können sogar als gesunder Hilferuf verstanden werden.
Ein weiterer Ansatz ist die Orientierung an den Ressourcen: es geht um das Erkennen und Wertschätzen bereits erlernter Bewältigungsstrategien. Der nächste Schritt ist unterscheiden zu lernen, in welcher Situation das erlernte Muster hilfreich oder störend ist.
Zentral ist das Empowerment: Frauen sollen ihre Stärken erkennen und Handlungsfähigkeit gewinnen.
Schließlich erfordert die Arbeit eine hohe Sensibilität gegenüber Trauma-Erfahrungen. Da viele Frauen Gewalt und/oder Missbrauch erlebt haben, ist es wichtig, ihnen einen geschützten Raum zur Verarbeitung anzubieten. Dieser Aspekt gehört zum Kern der psychotherapeutischen Arbeit mit Frauen.
Für wen ist Frauenspezifische Psychotherapie besonders sinnvoll?
Meiner Meinung nach ist die Perspektive der Frauenspezifischen Psychotherapie für alle Frauen sinnvoll. Unsere Welt ist stark von der klaren Unterscheidung in männlich und weiblich geprägt, mit all den damit verbundenen Stereotypien. Feministinnen und die LGBTQ Bewegung bringen zwar neuen Wind in diesen Diskurs, aber die Prägungen über Generationen sind doch noch mächtig.
Ich gehe ja sogar so weit zu sagen, dass der Blick der Frauenspezifische Psychotherapie auch Männern helfen kann, ihre Belastungen und Symptome, die mit den gesellschaftlichen Erwartungen an sie als Mann verbunden sind, zu erkennen und zu hinterfragen.